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HR meets Silicon Valley

Pilgerströme auf dem Weg nach Silicon Valley. Das Mekka der Innovation, der Disruption. Hier tummeln sich Marktveränderer und Spielverderber:innen en masse. Europäische Manager wollen wissen, wie es geht, und suchen nach Inspiration, in der Hoffnung, ein bisschen Silicon Valley DNA mit nach Hause nehmen zu können.

Die Erfolgs-DNA, ein Zaubermix aus Culture, Organization, Leadership, Talent und Skills – auch COLTS genannt – als Garant für Innovation? Jedes Land und jedes Unternehmen hat eine Kultur, eine Organisation, eine Interpretation von Leadership, ein Stück Talent und Fähigkeiten. Aber nicht jede Kultur und nicht jede Organisation fördern Innovation.

Was also haben erfolgreiche Unternehmen, Startups und die Geschäftsmodelle made in Silicon Valley gemeinsam? Zum einen verbindet sie eine Kultur des Ausprobierens, Testens und Prototypings. Schnell an den Markt und eine Idee testen, statt jahrelang in Perfektionismus Konzepte zu erarbeiten, heisst die Devise. Und zum anderen haben sie es alle geschafft, die Spielregeln zu verändern. Echte Innovation verlangt Disruption. Keine «wir haben es schon immer so gemacht»-Kultur. Echte Innovation verändert die Gewohnheiten der breiten Masse. Airbnb, Uber und Facebook haben es vorgemacht.

Zwischen Innovation und Tradition

Ganz klar: Schon unser Landschaftsbild unterscheidet uns deutlich vom Silicon Valley. Die Berge sind ein fester Bestandteil der Schweizer DNA - geprägt von Tradition, Landwirtschaft und dem kantonalen Denken.

Der Schweizer Bauer bzw. die Schweizer Bäuerin steht symbolisch für eine eher konservative Kultur. Doch die Werte, die uns am Herzen liegen – Genauigkeit, Planbarkeit und Stabilität – wirken leider oft als Innovations- und Kreativitätsbremsen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb war die Schweiz schon immer offen für Neues. So wurde zum Beispiel vor gut 25 Jahren das Internet im Genfer CERN entwickelt. Auch das Überwinden physischer und virtueller Berge gehört zu unserer kulturellen Stärke. Die Schweizer IT-Branche ist als besonders offen und innovativ bekannt. Als vor 30 Jahren die ersten standardisierten ERP-Lösungen auf den Markt kamen, war die Schweiz zusammen mit Deutschland ein Vorreiter, ja fast ein Vorbild. Schweizer Entscheidungsträger:innen zeichnen sich durch Offenheit und Risikofreude aus. Heute, drei Jahrzehnte später, erleben wir Ähnliches: Die Schweiz gehört zu den innovativsten Ländern, besonders im Hinblick auf den Einsatz moderner Cloud-Produkte. Beispielsweise führt die Schweiz den Global Innovation Index bereits zum sechsten Mal in Folge an.

Ist es also möglich, zugleich altmodisch und zukunftsorientiert zu sein? Ja, denn die Schweiz ist es gewohnt, flexibel zu bleiben. Mit ihren vier Landessprachen, zahlreichen Dialekten und dem vielfältigen «Kantönligeist» bietet sie eine multikulturelle Grundlage, die einen hervorragenden Nährboden für Innovation darstellt.

Zukunft Cloud

Laut dem Marktforscher Gartner wird es in vier Jahren kaum mehr Unternehmen geben, die auf eine «No Cloud» Strategie in der IT setzen. Cloud wird bald keine Option mehr sein, sondern eine Notwendigkeit.

Was Unternehmen jedoch häufig noch zögern lässt, sind Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit. Dass die Sicherheitslücken in den eigenen Systemen oft deutlich grösser sind als in der Cloud, spielt dabei keine Rolle – es handelt sich schliesslich um einen kulturellen Wandel, der nicht mit Druck erzwungen werden kann.

Auch hier zeigt sich die Schweiz mit ihrem Pioniergeist. Sie belegt im globalen Cloud Computing-Exportmarkt den siebten Platz, direkt hinter Grossnationen wie Japan und Deutschland.

Inhouse betriebene Softwarelösungen werden zunehmend zur aussterbenden Spezies – auch wenn es noch Jahrzehnte dauern mag, bis das letzte Relikt dieser Art vollständig abgelöst wird. Im Vergleich zu Cloud-Lösungen sind Inhouse-Systeme heute schlichtweg zu teuer, zu schwerfällig, zu unflexibel und zu wenig skalierbar, um langfristig rentabel zu sein. Hinzu kommen langsame Innovationszyklen, hohe Unterhaltskosten und der Verlust von Know-how für den Betrieb solcher Systeme.

Manche Unternehmen glauben, sie seien so speziell, dass keine Cloud-Lösung ihren individuellen Anforderungen gerecht werden könne. Das ist ein Irrtum! Wer denkt, dass Cloud-Lösungen uniformierte Einheitslösungen sind, liegt falsch. Hochwertige Cloud-Produkte stehen den individuell anpassbaren on premise-Systemen in nichts nach. Ganz im Gegenteil: Sie bieten oftmals noch mehr Flexibilität.

Die Magie des Sharing

Aber ganz ehrlich: Cloud ist nur eine Technologie. Ein Sharing von Software und Rechnerkapazität mit vielen anderen Anwender:innen. Aber mit dem Umstieg auf Cloud alleine ist es nicht getan. Es geht darum, die Spielregeln zu verändern, und die Technologie kann dabei natürlich ein Vehikel sein.

So ist Tesla beispielsweise ein exzellentes Beispiel für Innovation und Mut, Neues auszuprobieren. Aber echte Disruption hat Tesla bis jetzt nicht geschafft, denn die Spielregeln «Auto» sind nach wie vor klassisch. Man entscheidet sich für einen Wagen, man kauft oder least ihn, man fährt ihn, verkauft ihn irgendwann, und am Ende des Lebenszyklus wird er verschrottet.

Wir sind immer noch in einer Welt, in der das Auto ein Statussymbol darstellt – ein Impuls des «Will Habens» gibt den Kaufanstoss und das geliebte Stück steht in den meisten Fällen mehr als 20 Stunden pro Tag ungenutzt herum. Mit der innovativen Technologie aber könnte in Zukunft eine echte Veränderung der Spielregeln und somit eine Bewegung «der Massen» stattfinden. Der Charme liegt in der Kombination des Mobility-Gedankens mit der Technologie des selbstfahrenden Autos. Man benötigt «on demand» einen Mobilitätsservice: Via App bestellt man den Wagen vor das Haus, lässt sich von A nach B bringen. Der Wagen fährt zu einer Sammelstelle oder zu seinem Eigentümer zurück oder wird direkt von einem anderen «User» übernommen. Bezahlung direkt via App. In so einem Szenario wäre der Cloud-Gedanke des Sharings perfekt umgesetzt.

Generell ist Sharing das Zauberwort von heute. Man stellt sein Wissen anderen zur Verfügung (Internet, Intranet, Blogs, Foren). Was man zu viel hat oder gerade nicht benötigt, wird anderen Personen auf Zeit «ausgeliehen», wie bei Airbnb. Oder der Einzelne besitzt «die Sache» gar nicht mehr, sondern bezieht sie on demand – aus der Cloud. So gesehen hat der Tesla (noch!) nicht den Gipfel der Innovation erreicht.

Wie und was kann HR also vom Silicon Valley lernen? Den innovativen Geist des Silicon Valleys zum HR-Paradigma zu machen, ist eine Chance, zum Wunscharbeitgebenden zu werden und wettbewerbsfähig zu bleiben.

State-of-the-Art-Technologie ist ein Muss für moderne HR-Organisationen, eine Visitenkarte des Unternehmens. Das fängt an bei der Art und Weise, wie Mitarbeitende Arbeitszeiten oder Spesen erfassen oder welchen Zugang sie zu Ausbildungsangeboten haben.

Modernste Cloud-Technologie alleine bringt aber noch keine HR-Innovation. Zutaten für Innovation sind Kultur, Mindset, Mut zum Ausprobieren, neue Wege der Zusammenarbeit. Das Zauberwort Sharing – was bedeutet das für HR, abseits des simplen Bezugs von Software aus der Cloud? Ein Vorreiter dieses Konzepts war sicher das physische Arbeitsplatz-Sharing. Aus heutiger Sicht ein alter Hut, der aber vor 20 Jahren massiv die Spielregeln des klassischen Arbeitsplatzes verändert hat. Ein Mitarbeitender kommt ins Büro, hat keinen eigenen Schreibtisch mehr, sondern bezieht einen aus «der Cloud». Keine Familienfotos neben dem PC, keine Jucca-Palme in der Ecke. Ein Verzicht auf Besitz. Teilen, um Kosten zu sparen, ist also gar nicht so neu.

Ein etwas moderneres Beispiel aus der Lohnabrechnung: Warum sollte ein Unternehmen heute noch einen eigenen Lohnbuchhalter oder eine eigene Lohnbuchhalterin haben? Ein Shared Service Center kann diese Aufgabe übernehmen und das Unternehmen profitiert auf vielen Ebenen. Kein personelles Risiko, feste Service Level Agreements, klar definierte Leistungen sowie garantierte Gesetzeskonformität sind nur einige Beispiele von Vorteilen des Sharings von Salärexpertise.

Ein weiteres Schlüsselthema für HR ist das Wissensmanagement. Speziell durch den Generationenwechsel befinden sich viele Firmen in der Gefahr, massiv an Wissen und Know-how zu verlieren, wenn die Baby Boomer sich endgültig in den Ruhestand verabschieden. Wissensmanagement ist ein Paradebeispiel für das Paradigma des «Sharing». Wissen teilen und verfügbar machen und zugleich im Unternehmen behalten, wenn einzelne Wissensträger es verlassen, ist eine Challenge, die es mit geeigneter Technologie und einem Kulturwandel zu adressieren gilt.

Das Silicon Valley macht uns vor, wie man Regeln bricht und neue Spielregeln definiert. Auch hier einige Denkanstöße für HR. Brauchen wir heute noch fest zugeordnete Vorgesetzte oder würde ein Pool von Coaches nicht genügen? Mitarbeitende von heute sind autonom und selbstorganisiert. Informationen, die sie für ihre Arbeit benötigen, bekommen sie elektronisch. Sie brauchen keine Vorgesetzten, die Informationen weitergeben oder zurückhalten. Der oder die klassische Vorgesetzte gehört in die analoge Welt und hat in dieser Form fast ausgedient.

Spinnen wir diesen Faden weiter, dann sollten wir auch das traditionelle Mitarbeitergespräch hinterfragen. Wenn wir die konventionellen Vorgesetzten nicht mehr benötigen, dann hat auch dieses Relikt ausgedient. Wir können es ersetzen durch situatives Coaching, z. B. durch Mentor:innen oder Projektleitende – sogenannte Vorgesetzte «auf Zeit». Die Agentur Elbdudler ging sogar noch einen Schritt weiter und lässt die Mitarbeitenden ihren eigenen Lohn bestimmen. Hier werden Spielregeln massiv geändert. Man könnte fast von Spielverderber:innen sprechen. Was nicht ist, darf nicht sein? Ein Beispiel für echte Innovation.

Wer sagt, dass Sitzungen im Sitzen und an Tischen durchgeführt werden müssen? Klar, das geht ja schon aus dem Wort Sitzung hervor. Doch vielleicht sollten wir den Begriff ganz aus unserem Vokabular streichen. In manchen Firmen werden Besprechungen im Stehen abgehalten. So gibt es zum Beispiel im Kontext agiler Projektmethoden das «Daily Standup Meeting». Aber darf man bei einer Besprechung gleichzeitig auch Sport treiben? Das macht keinen Sinn, denkst du? Google bricht hier die Spielregeln und nutzt das Conference Bike, das bis zu sieben Personen erlaubt, gleichzeitig zu radeln und zu meeten. Der Vorteil? Statt auf unseren geistigen Positionen im wahrsten Sinne des Wortes sitzen zu bleiben, kommt Bewegung in unser Denken. Und zugleich ist es ein echter körperlicher Fitmacher. Yes, we can!

HR-Abteilungen sind nicht nur die Hüter des Personals. HR kann Innovation vorantreiben. HR spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, sich als Unternehmen neu zu erfinden. HR kann und darf sich selbst neu erfinden.

Lösungen aus der Cloud

Ein Grossteil der heute am Markt verfügbaren HR-Systeme ist cloudbasiert; dies gilt insbesondere für den umkämpften Markt der Anbieter von Talent-Management-Lösungen. Der Charme der cloudbasierten Lösungen liegt auf der Hand: HR profitiert von kurzen Einführungszeiten, fix kalkulierbaren und transparenten Kosten und kann sich von der oft zermürbenden Abhängigkeit der internen IT befreien. Die Endanwender:innen profitieren von modernsten Benutzeroberflächen, mobilen Anwendungen und nahezu selbsterklärenden Prozessen.

Aber Achtung! Cloud ist nicht gleich Cloud und eine cloudbasierte Lösung ist kein Synonym für Innovation. Betrachtet man die Architektur heutiger HR-Lösungen, so dominieren zwei Varianten den Markt. Auf der einen Seite stehen die sogenannten hybriden Ansätze, bei denen Unternehmen cloudbasiertes Talent Management an bestehende Inhouse HR-Systeme anbinden. Auf der anderen Seite gibt es die vollumfänglich Cloud basierten Modelle, bei denen das komplette HR, inklusive der Lohnabrechnung, in die Cloud verlagert wird. Technologisch betrachtet mag die zweite Variante in punkto Innovation als Sieger hervorgehen. Doch wie relevant ist das wirklich?

Mitarbeitende interessiert in erster Linie, dass ihre Lohnabrechnung korrekt und verständlich ist – auf welcher IT-Grundlage das geschieht, ist nebensächlich. Auch für den HR-Lohnbuchhalter oder die HR-Lohnbuchhalterin zählt vor allem, dass das genutzte Tool funktioniert – ob es in der Cloud oder im Keller des Unternehmens gehostet wird, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die entscheidende Frage sollte daher nicht «Cloud oder nicht Cloud?» lauten, sondern: Welche HR-Services benötigt das Unternehmen und welche davon sollten intern bereitgestellt oder extern bezogen werden? Ein Anbieter von HR-Services wird aus Kostengründen vermutlich ohnehin auf Cloud basierte Software setzen. Aber das ist lediglich die Technologie und nicht die Essenz der angebotenen Services.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Funktionalität der zugrundeliegenden Software und die Prozesse, die darin abgebildet werden. Ist die Software auf eine konservative Welt aus Vorgesetzten, Mitarbeitenden und festgelegten Prozessen ausgelegt? Das Mitarbeitergespräch dient hier als gutes Beispiel. Muss die Software zwingend eine/n klar definierte/n Vorgesetzte/n voraussetzen, um den Mitarbeitergesprächsprozess abzubilden? Was passiert, wenn aus Vorgesetzten dynamische Coaches werden und feste Gesprächstermine durch spontane Checkpoints ersetzt werden?

Immer wieder unterliegen HR-Abteilungen den Sachzwängen von Softwarelösungen, wodurch echte Innovation oft im Keim erstickt wird. Dies soll jedoch kein Plädoyer gegen IT-basierte HR-Lösungen sein, sondern vielmehr ein Appell, Technologie als das zu betrachten, was sie ist: ein Werkzeug. Nicht mehr. Und nicht weniger.

Eine Ode an die Schweiz

Wir leben in einem Land mit starken Werten und einer gesunden demokratischen Politik. Das verleiht der Schweiz Ruhe und Stabilität.

Gleichzeitig profitieren wir von einer vielfältigen, mehrsprachigen Kultur, die uns zeigt, dass es nicht nur einen richtigen Weg gibt. Diese Offenheit bewahrt uns vor Stereotypen und fördert Vielfalt.

Unsere Kultur betrachtet Berge nicht als unüberwindbare Hindernisse, sondern als Schutz und gleichzeitig als Herausforderung. Diese bedachte und überlegte Haltung ist eine Stärke der Schweiz und sollte auch im Hightech-Zeitalter unbedingt erhalten bleiben.

Wir pflegen eine familiäre Kultur, in der Werte wie Ehrlichkeit und gesunder Menschenverstand noch eine zentrale Rolle spielen. Der Schweiz gelingt die Balance zwischen Digitalisierung und der Bewahrung altbewährter Traditionen. So schützen wir etwa unsere Bauernkultur mit hohen Subventionen, bleiben aber gleichzeitig offen für Fortschritt.

Wir befinden uns in der glücklichen Lage, uns den Spirit des Silicon Valley zu eigen machen zu können. Es braucht Mut, Neues auszuprobieren. Aber ebenso braucht es Mut, konservativ und «schweizerisch» zu bleiben. Die Schweiz hat diesen Mut.


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