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Arbeitsplatz 4.0

Konventioneller Arbeitsplatz, Homeoffice, Coworking-Space - wohin geht die Reise?

Gemütlich (oder so tun, als ob) mit dem Laptop unter dem Weihnachtsbaum, gedanklich zwischen Projekten, die dieses Jahr noch abgeschlossen werden müssen, Last-Minute-Geschenkerausch bei Amazon und der Planung des Weihnachtsmenüs. Also genau der richtige Zeitpunkt, um das Thema Arbeitszeit und Gesetzgebung etwas zu reflektieren, oder?

Heute im Homeoffice, morgen im Coworking Space mit anderen Freelancern oder Homeoffice-Arbeitenden, die genug davon haben, einsame Gespräche mit dem Kühlschrank zu führen. Alle sind sich einig, dass die neue Arbeitswelt nicht mehr der unserer Grosseltern gleicht. Aber finden das auch alle gut? Und sind wir dabei im Clinch mit der Gesetzgebung?

Das Seco probiert mehr oder weniger erfolgreich, die Regeln der Zeiterfassung an heutige Gegebenheiten anzupassen. Aber auf jede Regel gibt es etliche Szenarien, die doch wieder aus dem Raster fallen. Und das Gesetz interessiert sich ja nicht nur für unsere Arbeitszeiten – es geht auch um den Schutz unserer ach-so-fragilen Gesundheit. Artikel 6 des Arbeitsgesetzes verlangt vom Arbeitgebenden, die betrieblichen Einrichtungen und den Arbeitsablauf so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen nach Möglichkeit vermieden werden. Das Gesetz schreibt sogar vor, dass der Arbeitgeber dafür zu sorgen hat, dass Arbeitnehmende bei der Arbeit keinen Alkohol oder andere berauschende Mittel konsumieren müssen. Das lässt einen schmunzeln – insbesondere wenn man berücksichtigt, dass mehr und mehr Personen nicht mit Alkohol, sondern mit Medikamenten „gedopt“ zur Arbeit kommen. Aufputschmittel, Angstblocker und Co. laufen dem Alkohol den Rang ab. Und sie sind noch um einiges gefährlicher, weil sie von der Umgebung zunächst nicht entdeckt werden. Gerade Angstblocker können aber zu destruktivem Verhalten am Arbeitsplatz führen, weil die natürlichen Hemmschwellen einfach nicht mehr funktionieren.

Und überhaupt sind solche Dinge bei Homeoffice-Arbeitenden noch deutlich schwerer zu identifizieren. Wie kann ein Arbeitgebender den Arbeitsablauf im Homeoffice überhaupt beeinflussen? Und wie soll er die erwähnte Überbeanspruchung „nach Möglichkeit“ vermeiden? Allein schon die Formulierung „nach Möglichkeit“ lässt viel Raum für Interpretation. Muss man die Mitarbeitenden vor sich selbst schützen? Grosse deutsche Konzerne tun das – indem sie zum Beispiel nachts die Mailserver herunterfahren. Der oder die Mitarbeitende, die erst nachts auf Touren kommt, wird sich dadurch gegängelt fühlen, in der Freiheit eingeschränkt. Andere wiederum finden es gut.

Interessant ist, dass nicht alle Generationen, die sich heute am Arbeitsmarkt tummeln, diesbezüglich dieselbe Ansicht vertreten.

Christian Scholz analysierte das Verhalten der unterschiedlichen Generationen in Bezug auf die Vorgaben des Arbeitsrechts. Die Generation Y ist sich darin einig, dass das Arbeitnehmerschutzrecht eine Bevormundung darstellt und nach Möglichkeit ignoriert werden sollte. Die Generation Z hingegen sieht es als Freund und Helfer im Streben nach strikter Trennung zwischen Beruf und Freizeit.

Eigentlich nicht verwunderlich, wo doch alles im Leben immer in Zyklen abläuft. Die ganz Jungen sind also die ganz Alten, was ihre Einstellung zur Arbeit angeht, und vermutlich haben sie sogar recht. Schutz oder Schikane ist also nur eine Frage der Geisteshaltung.

Der Trend geht immer mehr zu Projektarbeitenden, Ich-Firmen, Freelancern, die punktuell Aufgaben übernehmen und so von einem Einsatz zum nächsten wandern. Nota bene: Auch das gab es früher schon. Und auch heute sieht man sie noch ab und an – die schwarz gekleideten Gesellen auf der Wanderschaft als Voraussetzung für die Meisterprüfung im Handwerk.

Damit ist der Arbeitgebende fein raus. Es sind nicht mehr seine Angestellten, also ist er nicht verantwortlich für deren Arbeitszeiten oder Gesundheitsschutz.

Viele sogenannte Goodies, die den Mitarbeitenden heute als Luxus „verkauft“ werden, sind bei genauer Betrachtung vor allem Vorteile für das Unternehmen. Zu kleine oder zu teure Büroräume? Homeoffice schafft Abhilfe, und nur in den seltensten Fällen deckt die Homeoffice-Pauschale die echten Kosten des Homeoffice. BYOD ist trendy und praktisch, verschärft aber noch mehr das Problem der permanenten Erreichbarkeit. Genau hinschauen heisst die Devise. Dass insbesondere die ganz jungen Generationen gerne zwei Handys dabei haben, zeigt einmal mehr, dass sie an der klaren Trennung von Privatleben und Beruf festhalten.

Die ständige Erreichbarkeit der Mitarbeitenden wirft aber nicht nur die Frage des Dauerstresses auf, sondern es muss geklärt werden, in welche Kategorie diese Zeit fällt. Bereitschaftszeit? Arbeitszeit? Das Beantworten einer dienstlichen Mail ist ganz klar Arbeitszeit. Wenn jedoch während der vermeintlichen Freizeit immer wieder Mails beantwortet werden, werden die störungsfreien Zwischenzeiten immer kürzer und daher nicht mehr sinnvoll als Freizeit nutzbar. Müsste dann die ganze Zeit als Arbeitszeit deklariert werden? Nach dieser Betrachtung hätten viele von uns vermutlich 18-Stunden-Tage und 7-Tage-Wochen. Und wenn Mitarbeitende das freiwillig machen? Weil sie es nicht schaffen, mal zwei Stunden Weihnachtslieder zu singen, sondern immer wieder ihre Mails checken oder die Social Media Accounts der Firma füttern? Kann Weihnachten dann als Überzeit abgerechnet werden?

Lösung

Es gibt keine; zumindest keine perfekte Lösung. Der Gesetzgeber hat sicher recht damit, bestimmte Dinge regeln zu wollen. Betonung natürlich auf „wollen“, denn rigoroses Einfordern und vor allem Rund-um-die Uhr Überwachung ist nicht möglich und sicher von keiner Generation gewünscht.

Wie wäre es mit einer Prise gesundem Menschenverstand, selbstverantwortliche und integre Mitarbeitenden, Unternehmen, die Mitarbeitende als Menschen behandeln, und leckeres Weihnachtsgebäck. Und natürlich reichlich Alkohol unterm Tannenbaum… :-)

Wer will da noch E-Mails beantworten?


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